Nicht Schuldig
Nicht Schuldig
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Buch 1 der Time Served Reihe.
Please note: This listing is for the German e-book edition.
MAIN TROPES
- Prison
- Stepbrothers
- Forced Proximity
- Shared Past
- Age Gap
- Insta-Love
SYNOPSIS
SYNOPSIS
NICHOLAS WEBSTER hat es im Leben zu etwas gebracht. Niemand, der ihn heute sieht, würde auf die Idee kommen, dass seine Mutter ihn als Kind schwer misshandelt hat, oder dass er nach ihrem Tod seine Kindheit und Jugend in verschiedenen Heimen verbracht und sogar für kurze Zeit im Jugendknast gelandet war.
Als erwachsener Mann hat er Freunde, denen er jederzeit sein Leben anvertrauen würde, einen lukrativen Job bei Elite Protection Services und einen Nebenjob, bei dem er Menschen hilft, sich aus häuslichen Missbrauchssituationen zu befreien. Denn er weiß nur allzu gut, was es heißt, nachts mit offenen Augen zu schlafen, Hunger zu leiden, grundlos windelweich geprügelt zu werden und sich nicht gegen Übergriffe zur Wehr setzen zu können, die kein Mensch, egal ob Kind oder Erwachsener je erleiden sollte. Aber wie vielen Menschen er auch hilft, er kann sich nicht von den Schuldgefühlen gegenüber der einen Person befreien, der er vor über zwanzig Jahren nicht geholfen hat – seinem Stiefbruder Cyrus.
CYRUS WHITAKER hat die letzten zwanzig Jahre im Gefängnis verbracht, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Und ausgerechnet die Person, die er geschworen hat, mit seinem Leben zu beschützen, ist dafür verantwortlich, dass er hinter Gittern sitzt. Noch ein Jahr, dann wird er wegen guter Führung vorzeitig entlassen und kann endlich alles hinter sich lassen und neu anfangen. Doch wer auch immer die Schicksalsfäden spinnt, hat andere Pläne mit ihm und beschert ihm unverhofft den Jungen als neuen Zellengenossen, der damals vor Gericht gegen ihn ausgesagt und ihm zwanzig Jahre seines Lebens gestohlen hat – seinen Stiefbruder Nicky.
Bei dem Versuch, den Fehler seiner Vergangenheit wiedergutzumachen, hat Webster eine Lawine aus Korruption und Amtsmissbrauch ins Rollen gebracht, die droht Cyrus und sein Leben für immer zu ruinieren oder, schlimmer noch, sie umzubringen und im Niemandsland zu verscharren, damit ihre Leichen nie gefunden werden.
Doch wer immer dahintersteckt, hat sich verkalkuliert. Was als genialer Schachzug gedacht war, um Webster loszuwerden, erweist sich als fatales Eigentor. Denn wenn es einen Menschen auf der Welt gibt, dem Cyrus kein einziges Haar krümmen, geschweige ihn umbringen würde, ist das Nicky. Doch ihre Widersacher geben so schnell nicht auf und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Der Schlüssel zu ihrer Freiheit befindet sich auf Websters Computer. Doch der steht auf seinem Schreibtisch bei Elite und außer ihm kann niemand sein Programm entschlüsseln.
Wird es Webster und seinen Freunden bei Elite gelingen, die Schuldigen rechtzeitig zu entlarven oder werden Cy und er im Gefängnis sterben?
NICHT SCHULDIG ist das erste Buch der Time Served-Reihe und ein Spin-off der Elite Protection Services-Reihe. Die Story hat ein Happy End und es gibt keinen Cliffhanger.
LOOK INSIDE: CHAPTER ONE
LOOK INSIDE: CHAPTER ONE
Der schrille Alarmton, gefolgt von einem Summen, als die stählerne Gittertür entriegelt wurde, ließ Nicholas Webster zusammenzucken. Der Wärter, der hinter ihm stand, gab ihm einen festen Stoß in den Rücken. Stolpernd machte Webster einen Schritt nach vorne. Er hasste diesen Ort. Das Gefängnis war eine nicht enden wollende Kakofonie von Geräuschen. Schreiende Männer, Kampfgeräusche, zuschlagende Metalltüren, zischendes Gemurmel, Klatschen von Haut auf Haut hinter den behelfsmäßigen Vorhängen, die den WC-Bereich vom Zellenraum trennten.
Doch es war nicht nur der Lärm, der ihm zu schaffen machte. Das grelle Neonlicht schmerzte in seinen Augen. Bei seiner Verhaftung hatten sie versehentlich seine Brille zerbrochen, und ohne den UV-Filter der Brillengläser, der das Licht abmilderte, war seine Migräne wieder da. Er hatte versucht, ihnen zu erklären, dass das alles ein Missverständnis war. Er hatte darum gebeten, telefonieren zu dürfen, was man ihm jedoch erst vierundzwanzig Stunden nach seiner Festnahme erlaubte, nachdem man ihn einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen und ihm hässliche marineblaue Gefängniskleidung zugeworfen hatte.
Er hatte keine Ahnung, warum er an diesem Ort war, aber mit jeder Minute wurde ihm klarer, dass diese Leute ihn für jemanden hielten, der er nicht war. In ihrem Benehmen und ihren Handlungen ihm gegenüber lag eine Feindseligkeit, die sie aggressiv zum Ausdruck brachten, ohne dabei körperliche Gewalt anzuwenden, sofern man den Mann nicht mitzählte, der die Leibesvisitation durchgeführt hatte. Denn der hatte keine Hemmungen gehabt, hart zuzupacken.
Vor einer massiven Metalltür am Ende des langen, hellen Flurs blieben sie stehen. Der Wärter öffnete sie und führte Webster hinein. Das Licht in dem Raum war weniger grell, wofür er dankbar war. Die schmutziggrauen Wände, der abgenutzte Linoleumboden und der massive, im Boden verschraubte Stahltisch sahen alles andere als einladend aus. Erleichterung durchflutete Webster, als er seinen Chef, Lincoln Hudson, sah, der in Begleitung einer Frau war, deren Jacke das Grau der Wände widerspiegelte und deren Haare zu einem straffen Dutt frisiert waren, der wehtun musste.
Der Wärter schob ihn vorwärts, drückte ihn auf einen Stuhl, löste die Handschelle an seinem linken Handgelenk und führte sie durch einen Metallring, der im Tisch verankert war, bevor er sie an Websters Handgelenk befestigte, diesmal noch fester als zuvor.
„Warum habe ich das Gefühl, dass du nicht hier bist, um mich hier rauszuholen, Mann?“ Webster sah seinen Chef an.
Linc fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. „Was zum Teufel hast du dir da eingebrockt, Nicky?“
Die Verwendung seines Spitznamens verursachte ein flaues Gefühl in seinem Magen. Linc nannte ihn immer Webster, es sei denn, er steckte in Schwierigkeiten oder es war etwas Schlimmes passiert. „Nichts. Ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin.“
Linc nickte der Frau zu, die daraufhin einen kleinen Schritt vortrat.
„Ich bin Kelly Chao, Ihre Anwältin. Gegen Sie liegen mehrere Anklagen vor. Worüber Sie sich ernsthaft Sorgen machen müssen, ist die Anklage wegen Terrorismus. Das ist eine Straftat der Klasse B, die Sie bis zu zwanzig Jahre in ein Bundesgefängnis bringen kann.“
„Terrorismus?“ Das Wort war mehr ein fassungsloser Schrei als eine simple Frage. Webster schloss die Augen, um das Pochen in seinem Kopf zu bekämpfen. „Wovon zur Hölle reden Sie? Wen sollte ich terrorisieren? Die Barista, die mit schöner Regelmäßigkeit jeden Morgen meine Kaffeebestellung vermasselt?“
In seinem Kopf drehte sich alles. Terrorismus? Wie konnte das sein? Zumindest erklärte es die Feindseligkeit, die er in den letzten achtundvierzig Stunden erlebt hatte.
„Sie behaupten, dass sie Beweise dafür haben, dass du dich in den Server des FBIs gehackt und gedroht hast, vertrauliche Informationen weiterzugeben, die schweren Schaden anrichten könnten“, sagte Linc.
„Zum Glück klagen sie Sie nicht wegen Spionage an. Denn in dem Fall hätte man Sie in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt“, fügte Ms. Chao sachlich hinzu.
„Linc, komm schon. Du weißt, dass ich niemals das FBI hacken würde. Warum sollte ich auch? Wir kennen dort genug Leute, um jederzeit an die nötigen Informationen zu kommen, wenn wir sie brauchen.“
„Das habe ich nicht gehört“, sagte Ms. Chao.
Webster ignorierte die Frau, er wollte, dass Linc ihm glaubte. „Ich wurde reingelegt, Mann.“
Linc nickte und rieb sich mit der Hand über sein bärtiges Kinn. „Okay, aber warum? Wer würde dir so übel mitspielen wollen?“
Das war eine gute Frage. Wer hatte es auf ihn abgesehen? Er arbeitete an keinem neuen Fall und er hatte keine neuen Nebenprojekte angenommen. In letzter Zeit gab es so wenig zu tun, dass er angefangen hatte, an alten offenen Fällen zu arbeiten. Nun, genau genommen an einem alten Fall. Aber daran arbeitete er bereits, seit er alt genug war, um sich mit Computer auszukennen.
„Scheiße, Mann. Ich habe echt keinen blassen Schimmer, wer dahintersteckt. Ich weiß nur, dass ich das FBI definitiv nicht gehackt habe.“
„Sie bieten Ihnen fünfzehn Jahre an, wenn Sie zustimmen, nie wieder einen Computer zu benutzen“, sagte Ms. Chao. „In Anbetracht dessen, was man Ihnen vorwirft, ist das ein großzügiges Angebot.“
„Was? Nein! Auf keinen Fall. Ich kann nicht ohne einen Computer sein. Das ist alles, was ich im Leben habe … alles, was mich ausmacht.“
„Wir haben größere Probleme als Computer, Nicky. Sie bieten dir fünfzehn Jahre als Mega-Deal an. Wenn du reingelegt wurdest, wollen sie dich nicht nur zum Schweigen bringen, sondern dich zwei Meter tief begraben.“
„Mich zu begraben, wäre die bessere Alternative. Ich hasse diesen verdammten Ort.“
„Sie werden schon bald in ein anderes Gefängnis gebracht“, erwiderte die Anwältin mit verkniffenem Gesichtsausdruck.
Webster schluckte hörbar, sein Mund war knochentrocken. „Was? Wieso? Wohin?“, hörte er sich fragen und schämte sich für die Panik in seiner Stimme.
„CSD“, antwortete Ms. Chao.
Fassungslos sah er die Frau an. Bis jetzt hatte er den Spruch, dass die Welt um einen herum zusammenbrach, nie richtig nachvollziehen können. Die Wucht der Erkenntnis traf ihn hart. Seine Brust zog sich schmerzhaft eng zusammen, und einen Moment lang fragte er sich, ob er einen Herzinfarkt oder nur eine Panikattacke hatte. Er hoffte auf Ersteres. Dann hätte er es wenigstens schnell hinter sich. „Können sie mich einfach so in ein Bundesgefängnis schicken, obwohl ich noch nicht einmal verurteilt worden bin?“, fragte er im Flüsterton, weil ihm der nötige Sauerstoff fehlte, um seiner Stimme Kraft zu verleihen. Es wunderte ihn, dass er überhaupt einen Ton über die Lippen brachte.
„Sie begründen es damit, dass die Gefängnisse überfüllt sind. Was sich für mich eher nach einer Ausrede anhört“, sagte Chao. „Wenn man Ihnen das Vergehen wirklich anhängen will, müssen Sie jemanden verärgert haben, der sehr viel Macht hat.“
„Das kann unmöglich ein Zufall sein“, murmelte Webster mehr zu sich selbst.
„Wovon zum Teufel redest du, Nicky?“ Linc sah ihn verwirrt an. „Ich schätze deine Beautiful Mind-Momente genauso sehr wie jeder andere in der Firma, aber ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiß, was los ist.“
„Mein Bruder.“
„Du hast einen Bruder?“, fragte Linc verdutzt.
„Nicht wirklich, nein. Er ist mein Stiefbruder. Meine Mutter hat seinen Vater geheiratet. Sie waren nur ein Jahr verheiratet, bevor …“ Webster verstummte. „Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass mein Stiefbruder Cyrus im CSD untergebracht ist. Er ist schon sehr lange dort.“
„Und das ist etwas Schlechtes?“, fragte Linc.
Chao kritzelte auf ihrem Block herum, aber Webster hatte keinen Zweifel daran, dass sie aufmerksam zuhörte.
„Ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist, dass sie mich in dasselbe Bundesgefängnis schicken, in dem mein Stiefbruder inhaftiert ist.“
„Was denkst du, warum sie dich dorthin schicken?“, wollte Linc wissen.
„Weil sie mich tot sehen wollen.“
Linc beugte sich vor. „Warum sollte dein Stiefbruder dich umbringen wollen?“ Seine Stimme war rau wie grobkörniges Schleifpapier
„Weil ich derjenige bin, der ihn für fünfundzwanzig Jahre in den Knast gebracht hat.“ Wieder schoss ein Schmerz durch Websters Brust, der drohte sein Herz zu zerquetschen.
„Mein Gott“, murmelte Chao.
Webster ignorierte sie. In seinem Kopf blitzten Bilder auf, wie Cy, bekleidet mit schwarzer Hose und weißem Hemd – der Kleidung, die er bei der Beerdigung seines Vaters getragen hatte – aus dem Gerichtsgebäude geführt wurde. Egal, wie lange er lebte, er würde nie den gepeinigten Blick in Cys honigfarbenen Augen vergessen, der von dem Verrat herrührte, den er – Webster – ihm angetan hatte.
„Da eine Kaution abgelehnt wurde, ist die Verlegung eine beschlossene Sache, unabhängig ob Sie den Deal annehmen oder nicht. Bis zur Urteilsverkündung werden Sie im CSD untergebracht.“ Chaos Tonfall war knapp und sachlich, als wollte sie das Gespräch schnell hinter sich bringen, um das Gefängnis zu verlassen.
Ein Teil von Webster empfand es als gerecht, dass man ihn ins CSD schickte. Irgendwie kam es ihm passend vor. Wenn er schon von jemandem abgeschlachtet werden sollte, war es eine seltsam schräge Art poetischer Gerechtigkeit, dass es Cyrus war, der ihn ins Jenseits schickte. Wie er wohl nach all den Jahren aussah? Würde er ihn immer noch Nicky nennen? Er schüttelte den Kopf über den Namen. Niemand nannte ihn mehr so. Niemand außer Linc.
„Wenn sie mich dorthin schicken, werde ich die Urteilsverkündung nicht erleben.“ Sein Tonfall war genauso knapp und sachlich wie der von Ms. Chao.
„Wenn sie dich reinlegen wollen, muss es einen Grund geben. Was hast du letzte Woche im Urlaub gemacht? Hast du dich mit jemandem getroffen? Oder mit der falschen Person geflirtet? Bist du versehentlich einem Richter auf die Zehen getreten? Hast du einen Senator verärgert, indem du ihn in einem Social-Media-Post getaggt und bloßgestellt hast?“
„Nein.“ Webster wischte sich mit den Händen übers Gesicht, sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick explodieren. „Wer immer dahintersteckt, hat etwas mit Cys Verurteilung zu tun. Irgendwie.“
„Was veranlasst Sie zu der Vermutung?“, fragte Chao. „Haben Sie sich an etwas erinnert?“
„Hören Sie, es gibt zurzeit nur eine Sache, an der ich arbeite, und das ist derselbe Fall, an dem ich die letzten zwanzig Jahre gearbeitet habe. Es ist Cys Akte. Die ganze letzte Woche habe ich damit verbracht, ein Programm zu erstellen, das nach einem Muster in eigentlich unauffälligen Daten sucht. Anschließend habe ich sämtliche Details von Cys Fall in das Programm eingegeben.“
Wenn möglich, wurde Lincs Stirnrunzeln noch tiefer. „Warum? Wonach hast du gesucht?“
Webster lehnte sich zurück. „Dasselbe, wonach ich suche, seit er weggesperrt wurde. Einen Weg, seine Unschuld zu beweisen.“
„Ihre Aussage hat Ihren Bruder ins Gefängnis gebracht, aber Sie glauben, dass er unschuldig ist?“ Plötzlich war Chao wieder sehr an dem Gespräch interessiert.
„Ich glaube nicht, dass er unschuldig ist. Ich weiß, dass er es ist“, schnauzte Webster, wobei der Schmerz in seinem Kopf fast unerträglich wurde.
„Hör endlich auf, dir alles häppchenweise aus der Nase ziehen zu lassen und rede endlich Klartext, Mann?“, brüllte Linc. „Wir müssen wissen, was du weißt, damit wir dir helfen können.“
„Ich gebe hier mein Bestes, Linc. Ich versuche nicht, dir Informationen vorzuenthalten. Ich kann nur gerade nicht klar denken.“ Er grub seine Handflächen in seine Augen und seufzte erleichtert, als das Licht aufhörte, ihn zu blenden und nur noch Funken hinter seinen Augenlidern tanzten. „Man hat mich gezwungen, gegen ihn auszusagen. Ich habe versucht, die Wahrheit zu sagen, aber die Gerichtsverhandlung war eine Farce. Die ganze Sache war von vorneherein ein abgekartetes Spiel. Niemand interessierte sich für die Wahrheit. Sie wollten nur, dass Cy verurteilt wird. Jeder in der Stadt wusste, wer meinen Stiefvater umgebracht hat, aber sie wussten auch, dass diese Person nie für ihre Tat verurteilt werden würde.“
„Wer hat ihn getötet?“, fragte Chao wissbegierig, als säßen sie an einem gedeckten Kaffeetisch und würden Klatsch und Tratsch austauschen, statt in einem schäbigen Gefängnisraum zu sitzen und um sein Leben zu pokern.
Webster seufzte und ließ die zu Fäusten geballten Hände auf den Tisch sinken. „Meine Mutter.“
Chao kritzelte wieder auf ihrem Notizblock herum. „Die Stadt hat Ihre Mutter beschützt? War sie wohlhabend oder hatte sie einflussreiche Beziehungen zu den Obrigkeiten der Stadt?“
Er stieß ein humorloses Lachen aus. „Sie war nicht wohlhabend. Und was die einflussreichen Beziehungen angeht … sie schlief mit dem Sheriff und dem Richter und wahrscheinlich sogar mit dem Staatsanwalt. Wir lebten in einer Kleinstadt, die ihre besten Jahre hinter sich hatte. Wie viele andere aussterbende Städte hatten wir eine hohe Verbrechensquote und irgendwie waren die meisten Straftäter schwarz, obwohl fünfundachtzig Prozent der Einwohner weiß waren.“
„Dein Bruder ist schwarz“, sagte Linc. Das war keine Frage.
„Zur Hälfte. Sein Vater war ein Weißer, aber das spielte kaum eine Rolle in einer beschissenen rassistischen Stadt, in der jeder, der was zu sagen hatte, sich von den kriminellen Biker-Gangs schmieren ließ, die ihre gierigen Hände in jedem schmutzigen Geschäft hatten, angefangen bei Drogen bis hin zur Prostitution.“
„Zu welchem Ergebnis ist Ihr Computerprogramm gekommen?“, fragte Chao.
Webster hielt kurz inne. „Ich … ich weiß es nicht. Als die Polizisten hereinplatzten und mich festnahmen, lief es noch im Hintergrund und scannte alle Datensätze aus Kalifornien, die ich eingegeben hatte.“ Webster zuckte zusammen, als das Geräusch des sich entriegelnden Türschlosses durch den Raum hallte. „Finde heraus, ob mein Computerprogramm etwas gefunden hat, Linc. Worauf auch immer ich gestoßen bin, muss der Grund sein, warum man mich tot sehen will.“
Der gleiche Wärter, der ihn hierhergebracht hatte, trat ein. Webster warf Linc einen letzten flehenden Blick zu. Er war kein Weichei, das noch nie gekämpft oder einen heftigen Schlag eingesteckt hatte. Er war ein Bodyguard und ein Computerfreak, und in beidem war er richtig gut. Aber er war noch nie im Gefängnis gewesen, noch nie in einer Situation, in der er auf der gleichen Seite der Gitterstäbe saß wie ein Mann, den er hinter selbige gebracht hatte.
Der Wärter nahm ihm die linke Handschelle ab, damit er aufstehen konnte. Als er zur Tür ging, sagte Linc: „Ich rufe das Team zusammen. Pass auf dich auf, sei wachsam und versuch, mit offenen Augen zu schlafen. Das CSD ist kein Abenteuerspielplatz.“ Der Wachmann packte ihn am Oberarm und schob ihn vorwärts. Linc stand auf und ging ihm nach, hielt jedoch an der Tür inne. „Da drinnen sind eine Menge Gangmitglieder, und du siehst aus wie das Aushängeschild der Arischen Bruderschaft. Sie werden versuchen, dich entweder zu rekrutieren oder zu töten. Verhalte dich nicht wie eine Zielscheibe. Benutze nicht das Wort Schlampe. Sollte dich jemand Schlampe nennen, gibst du ihm eins auf die Fresse und wenn …“
Welche Ratschläge auch immer Linc ihm noch geben wollte, gingen hinter der dicken Stahltür verloren, als der Wärter ihn zurück zum Zellentrakt brachte. „Die gut gemeinten Ratschläge deines Freundes werden dir leider nichts nützen, Prinzessin. Glaub mir, du wirst die neue Attraktion im Gemeinschaftsraum sein. Du bist so hübsch, dass sie dich noch vor dem Abendessen in ein Kleid stecken werden. Keine Sorge, ich habe gehört, dass man im Gefängnisladen sogar Schminke kaufen kann.“
„Leck mich, Arschloch“, knurrte Webster.
Sein Kopf explodierte, als der Wärter ihn mit dem Gesicht gegen die Tür stieß und seine Stirn so hart gegen die Gitterstäbe schlug, dass er kleine Cartoon-Sterne in der Luft herumschweben sah.
Der Wärter packte ihn am Kragen und schob ihn hämisch lachend weiter den Gang entlang. „Vorsichtig, Häftling. Sieht aus, als müsstest du dich noch an die Fesseln gewöhnen“, sagte er laut, als sie an einem anderen Vollzugsbeamten vorbeikamen.
Webster biss sich auf die Zunge, damit ihm keine Erwiderung über die Lippen kam. Als sie bei seiner Zelle ankamen, schloss der Wachmann die Tür auf und wieder bekam er einen festen Stoß in den Rücken. „Der Transport ist für sechs Uhr morgen geplant.“ Der Wärter bedachte ihn mit einem gehässigen Grinsen. „Du solltest vor deinem großen Auftritt vielleicht einen Schönheitsschlaf halten.“
Es juckte ihn, dem Mistkerl den Mittelfinger zu zeigen, aber er beschloss es zu lassen. Er ging zu dem Etagenbett, legte sich auf die dünne Unterlage, die als Matratze diente, und starrte auf die Worte, die in den Boden des oberen Bettes geritzt waren.
Sei wachsam und lass dich nicht mit heruntergelassener Hose erwischen.
Irgendjemand wartet immer auf den richtigen Moment, um dich zu ficken.
Daran hatte Webster keinen Zweifel. Irgendjemand würde sich immer an seine Fersen heften. Die Warnung verstärkte das ungute Gefühl, das sich immer mehr in ihm ausbreitete. Er fühlte sich wie ein Fuchs, der wusste, dass er morgen die Trophäe einer Treibjagd war. Es gab kein Entrinnen. Wenn die Hunde ihn nicht in Stücke rissen, würden die Männer zu Pferd ihm einfach eine Kugel zwischen die Augen verpassen.
Er war so oder so tot.